Hier gibt es Videos und Infos zu den Gebieten und immer wieder ergänzt über – fast – alle uns bekannten Steine im Kandertal
Wir lieben sie, unsere Zebrafelsen, sie schauen super aus und wir haben viel Spass damit und daran, manchmal auch etwas Frust wenn die Begehung eines Boulders nach unzähligen Versuchen noch immer nicht geklappt hat. Die Qualität der Felsen reicht vielleicht nicht ganz an den Gneiss im Tessin oder gar an den Sandstein in Fontainebleau heran, dafür ist er sehr hautschonend. Und die schönsten Steine weit und breit sind es allemal, das haben inzwischen auch einige Leute von weiter weg kapiert. Aber wer weiss schon, dass unser Bouldergebiet durch einen Bergsturz mit gigantischen Ausmassen vor ca. 9’000 Jahren entstanden ist? Hier der Artikel von Lea für diejenigen, die nicht nur an den Steinen bouldern wollen sondern auch noch an etwas geologischem Hintergrundwissen interessiert sind.
…sie gucken trollig unter dem Moos hervor, wir lieben sie – meistens – oft aber bringen sie uns zum verzweifeln. Sie machen uns stark, sie schneiden die Fingerkuppen auf und trotzdem fassen wir sie gerne an… aber was sind sie eigentlich und weshalb liegen sie da und weshalb sehen sie so schön aus?
Gesteinsformation
Die Blöcke stammen aus einer Gesteinsformation namens Helvetischer Kieselkalk. Der etwas unromantische Namen hat folgende Bedeutung:
Kieselkalk: Es ist ein Kalk mit einem gewissen Anteil von Siliciumdioxid (SiO2). Das Siliciumdioxid liegt im Gestein fein verteilt als Chalcedon, Mikroquarz und / oder Quarz [2] vor. Das Siliciumdioxid stammt einerseits aus Skeletteilen (Nadeln, welche primär aus Opal bestehen [2]) von abgestorbenen Schwämmen (prähistorische Sponge Bobs) und andererseits aus eingeschwemmten Sandkörnern. Die Siliciumdioxid-Nadeln bauen die Schwämme während Lebzeiten aus Kieselsäure (H4SiO4) auf, welche im Meerwasser gelöst ist.
helvetisch: das Helvetikum bezeichnet in der Geologie der Alpen ein bestimmter Ablagerungsraum (Meeresbecken) am damals südlichen Kontinentalrand von Europa [5]. Darin wurden im Zeitraum vor rund 250 Mio. Jahren bis vor 30 Mio. Jahren Sedimente abgelagert [5]. Während der Entstehung der Alpen wurden diese Sedimente übereinander geschoben und verfaltet. Diese im Helvetikum abgelagerten und übereinander geschobenen Gesteinspakete werden Helvetische Decken bezeichnet (ein verschobener Gesteinsstapel = „Decke“).
Der Helvetische Kieselkalk wurde in der frühen Kreidezeit vor rund 140 – 130 Mio. Jahren abgelagert [7]. Man stelle sich ein seichtes, tropisches Meer vor mit reichlich Korallen, Seelilien, Schwämmen etc..
Der Stein mit der charakteristischen Bänderung
Leider ist längst nicht die gesamte Gesteinsformation des Helvetischen Kieselkalks wie der typisch gebänderte „Blauseestein“ (auch Bänderkalk, oder Tschingelkalk genannt) ausgebildet: Der Bänderkalk kommt im obersten Teil des Kieselkalks westlich der grossen Scheidegg, v. A. in der Region Kandertal & Kiental innerhalb der Doldenhorndecke vor [4], [9]. Die Doldenhorndecke ist ein Teil der Helvetischen Decken, welche im nördlichsten, küstennahen Teil des Helvetikums abgelagert wurde.
Die hübsche Optik des Bänderkalks mit der unregelmässigen und doch eleganten hell-dunkel Bänderung verdankt er der Ablagerung in Küstennähe [9]: Nebst zermahlenen Skelettteilen von Meerestierchen (heller Kieselkalk) wurde auch dunkler Sand (untergeordnet Silt und Ton) vom nahegelegenen Kontinentalrand eingeschwemmt.
A. Trösch beschrieb 1908 das Gestein folgendermassen [9] S. 131: „Diese Schichten werden gut charakterisiert durch einen Wechsel von quarzreicheren und quarzärmeren Zonen, von denen nun die ersten als dunkelbraune, resistente Partien von geringer Mächtigkeit hervortreten und eine über weite Flächen sich hinziehende Bänderung ergeben. […] Der Freundlichkeit des Herrn E. Truninger verdanke ich nachstehende Analyse, aus der hervorgeht, dass die lagenartige Anreicherung der Kieselsäure die auffallende Bänderung hervorgebracht hat. Die Probe entstammt einem jener riesigen Blöcke in der Umgebung des Blausees im Kandertal.“
Bergsturz
Die Blöcke aus v. A. Bänderkalk (Untergeordnet Kieselkalk und Sandstein) an welchen heute zwischen Kandersteg (Sektor Universum) und Kandergrund (Sektor Riegelsee) [1] gebouldert wird, lagen ursprünglich als massiger Fels nordöstlich vom Üssere Fisistock / Fisialp, wo heute die Doldenhornhütte steht. Wirft man einen Blick dort hoch, wird offensichtlich, dass ein „grosses Stück Kuchen“ fehlt: Das ca. 0.7-0.9 km3 grosse Felspaket donnerte zu prähistorischer Zeit als gigantischer Bergsturz zu Tal. Im Vergleich dazu wirkt der Bergsturz am Piz Cengalo im Jahr 2017 mit 0.004 km3 eher klein. Eine Studie aus dem Jahr 2019 /2020 geht von einem Alter des Kandertal-Bergsturzes um 3‘200 Jahren aus [6]; ältere Studien postulieren ein Alter um 9‘000 Jahre [8].
Das abgerutschte Felspaket besteht zuunterst aus Öhrlikalk (Gleitschicht im Öhrlimergel), Kieselkalk und darüberliegenden jüngeren Tertiären Sedimente (Siderolithische Bildungen, Nummulitensandstein, Lithothamnienkalk & Globigerinenschiefer); vergleichbar mit der Gesteinsabfolge des Üssere Fisistocks: Hier liegen überwiegend die Bänderkalke an der Oberfläche vor, nur im Gipfelteil werden diese von Tertiären Sedimenten überlagert. Glücklicherweise blieben die Bänderkalke während dem Bergsturzereignis zuoberst auf der Rutschmasse, sodass diese heute bebouldert werden können und nicht in der bis zu 200 m hohen Bergsturzmasse [6] begraben liegen. Die darunterliegenden Öhrlikalke und Öhrlimergel wurden während dem Bergsturz stark zerkleinert, sodass nur selten Blöcke grösser als 1 m übrig blieben [6]. Gemäss Simulationen des Bergsturzereignisses war der Bergsturz nach ca. 10 min bis nach Kandergrund vorgestossen [6]. Die maximale Transportgeschwindigkeit liegt im Bereich von ca. 30 – 60 m/s (= 110 – 220 km/h) [6]. Vermutlich führte der Bergsturz eine gewaltige Druckwelle mit sich, welche grosse Waldteile zerstörte [8].
Über die genauen Gründe des Bergsturzes kann nur spekuliert werden, da offensichtlich der Zeitpunkt des Ereignisses umstritten ist [6], [8]. Klar ist, dass das Felspaket wegen Kluftsystemen und Schwächezonen entlang der relativ steil einfallenden Schichtung im Öhrlimergel nur schwach mit dem restlichen Berg verbunden war [6]. Inwiefern klimatische Aspekte (Gletscherrückzug, tauender Permafrost, niederschlagsreiche Zeitperiode) oder ein mögliches Erdbeben zur Auslösung führten, ist nicht klar [6].
Text: Mai 2021, L. Weyermann
Quellen:
[1] Antz, W., Trachsel, P., Schmid, R.: Bimano App, Bouldern Schweiz, Kandertal, Aufruf Mai 2021
[2] Bärtschi, C. (2011) Kieselkalke der Schweiz: Charakterisierung eines Rohstoffs aus geologischer, petrographischer, wirtschaftlicher und umweltrelevanter Sicht. DISS. ETH Nr. 19451, 186
[3] Bundesamt für Landestopografie swisstopo: map.swisstopo.admin.ch, Abruf Mai 2021
[4] Buxtorf, A.,& Truninger, E. (1909) Über die Geologie der Doldenhorn-Fisistock-Gruppe und den Gebirgsbau am Westende des Aarmassivs. Verh. natf. Ges. Basel 20/2, S. 135-179.
[5] Pfiffner, O. A. (2009) Geologie der Alpen (1. Aufl.). Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Verlag.
[6] Singeisen, C., Ivy-Ochs, S., Wolter, A. et al. (2020) The Kandersteg rock avalanche (Switzerland): integrated analysis of a late Holocene catastrophic event. Landslides 17, 1297–1317.
[7] Strati.ch Lithostratigraphsches Lexikon der Schweiz: www.strati.ch, diverse Inhalte, Aufruf Mai 2021
[8] Tinner, W., Kaltenrieder, P., Soom, M., Zwahlen, P., Schmidhalter. M., Boschetti, A., Schlüchter, C. (2005) Der nacheiszeitliche Bergsturz im Kandertal (Schweiz): Alter und Auswirkungen auf die damalige Umwelt. Swiss. J. Geosci. 98, 83–95.
[9] Trösch, A. (1908) Beiträge zur Geologie der westlichen Kientaleralpen (Blümlisalpgruppe). Ecl. geol. Helv. X. No.1, 63-149.
[10] Zwahlen, P. (1983). Die Gellihorn-Decke im Kiental. Ecl. geol. Helv., 76, 491–506.